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Die Ränder der Langeweile

Vom 14.03.14 an war ich wieder im Krankenhaus, weil ich eine Infektion der Atemwege hatte und damit verbunden moderates Fieber. Ob es nun eine leichte Lungenentzündung war oder der klassische grippale Infekt- das ist nicht klar. Jedenfalls ging es mit Blaulicht im Rettungswagen zur Klinik, was ja an einem Morgen um vier Uhr eine ganz eigene Dramaturgie entfaltet, selbst wenn das Martinshorn stumm bleibt.
Im Krankenhaus die schnelle Entscheidung: Der Mann bleibt hier – mindestens für eine Woche. Das Fieber senkte sich rasch durch Antibiotika, das Atmen hat sich normalisiert und die Ärzte gaben deutlich zu verstehen, dass mein Immunsystem nach der Strahlentherapie ganz ordentlich geschwächt ist – ich denke, dass es nun eher einer geöffneten Scheune ähnelt, als einer undurchdrinlichen Verteidigungskette mit beinharten Verteidigern. Deshalb kann mich sowas jederzeit wieder anfliegen und dann kommen sie einfach wieder, sagen die Ärzte ganz ruhig. Die Zeit im Krankenhaus nutzte ich um Informationen zu sammeln: So lernte ich, dass ich die Strahlentherapie offenbar unterschätzt habe und die Nebenwirkungen doch prägnant sein können und von Schwäche (deutlich), Übelkeit (geringfügig), Sinnesstörungen (Geschmack (Ja), Hören (Ja) Taubheitsgefühlen in Fingern (Ja) und Füßen (Nein) reichen. Auch dass die verabreichte Strahlendosis auf den Kopf am Limit liegt, erfuhr ich, was in der Konsequenz heißt, dass falls das Wachstum der Tumore nicht gestoppt werden kann oder es nach einer Pause wieder einsetzt, eine weitere Strahlentherapie nur sehr differnziert dosiert werden dürfe, weil ansonsten das Verhältnis Nebenwirkung sprich Hirnschäden größer als der therapeutische Nutzen der Strahlen wäre. Der Fachmann nennt die sich akkumulierende Strahlung auch Sammeltoxität, weil sich die Strahlendosis im Kopf pro Bestrahlung erhöht. Die Frage, ob mein Kopf nachts leuchtet oder gar radioaktiv ist, verneinten die Ärzte. Louisa und ich arbeiten uns gerade durch die großen Kapitel des Krankheitslexikons, denn sie leidet derzeit unter einer äußerst schmerzhaften Gürtelrose, die sie deutlich schwächt. Deswegen hat Louisa auch noch nicht auf alle großzügigen Hilfsangebote reagieren können. Auch denken wir, dass es im Moment nicht sinnvoll wäre, alle Hilfen anzunehmen, weil wir uns durchaus auf einen zeitlich längeren Behandlungsverlauf einstellen. So wird meine Chemotherapie, die auch mit Nebenwirkungen aufwartet, im April an drei Tagen fortgesetzt, dann folgen fast drei Wochen Regeneration, bevor der vierte Cocktail verabreicht wird und dann wieder drei Wochen Regeneration mit erneuten Bluttests und schon ist der Mai nahezu um. Unsere Kinder sind fit und das freut uns ungemein, auch wenn es manchmal für die beiden schwierig ist, dass Papa sie nicht einfach mal auf die Schultern heben kann- das war nach dem Umbau des Hauses kein Problem, weil ich durch die Arbeit am Haus doch erheblich Kraft und Muskeln aufgebaut hatte. Kraft und Muskeln sind erstmal Geschichte, denn der Abbau ging rasant. Ebenso rasant der angekündigte Verlust meiner Haare.

am 13.03.2014

am 13.03.2014

Die Vorhersage der Ärzte war, dass nach der 12. Bestrahlung das Haar ausfalle und pünktlich in der Nacht nach der 12. Bestrahlung fuhr ich mir über den Kopf und dann lagen die meisten Haare neben meinem Krankenhausbett. Am Morgen sah ich auf dem Kopf aus, wie ein in die Jahre gekommenes Rhesusäffchen. So lästig Nebenwirkungen auch sein mögen, immerhin geben sie ein Indiz ab, dass etwas passiert und damit verbunden natürlich die Hoffnung auf die Hauptwirkung der Anwendungen. Louisa hat die Haarstadien fotografiert, auch um die Kinder etwas vorzubereiten, dass mein Kopf kahl ist, denn für die rasierte Variante hatte ich mich vorher schon entschieden. Als die Zwillinge mich kurz nach der Rasur erstmals in Echt und Farbe sahen, war der erste Kommentar: „Papa hat seine Haare nicht an!“

am 25.03.14

am 25.03.14

Später nannten die Beiden es den „Mondkopf“. Dann ging es über zum Anfassen und Streicheln, weil sich eine Glatze gut anfühlt. Ich beschrieb dann auch den Kopfhautkontakt mit dem kühlen Leinen des Krankenhausbettkopfkissens als „Cool Sensation“. Sowas sind natürlich Highlights im Krankenhausalltag, genau wie die ausgiebige Zeitungslektüre vor allem mit den Wochenendausgaben, die das Gefühl langsam zu Weidevieh zu werden unterbrechen. Ich lag, ich döste, ich aß und glotzte in die Gegend – genau so habe ich immer Kuhherden gesehen. Auch wenn ich mich selten gelangweilt habe, in der Woche Krankenhaus habe ich die Ränder der Langeweile zumindest gesehen – sie erinnern an die konturlosen Linien eines dieser beige-weißen Teigschaber aus Kunststoff.

Die Ränder der Langeweile

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